Wort zum Alltag 8/2025
Mein Sommer in Schweden - Erfahrungen vom Mitgehen
Ich war in diesem Sommer unterwegs in Schweden. Allein, -nur mit Rad, Zelt, Schlafsack, Matte, Kochgeschirr, begrenzter Wechselkleidung. Dabei habe ich mich, old-school-mäßig, wie meine Kinder sagen, an Kartenmaterial orientiert. Das Radwegenetz dort oben im Norden ist ausgezeichnet ausgebaut. In der Regel findet sich an jeder Abzweigung und auch zwischendurch an längeren Strecken ohne Kreuzung ein Hinweisschild: zum Radweg „Sydostleden“ oder „Skaneleden“ usw., oft der nächste Ort und eine km-Angabe. Manchmal aber fehlt genau solch ein Schild, ist zugewachsen oder ich habe es, weil müde, weil von der Sonne geblendet oder ob meines gesenkten Blickes wegen Regens, nicht gesehen. Vom Wege abgekommen, orientierungslos, habe ich dann Menschen angesprochen, die mir begegneten. Und sie wiesen mir den Weg auf eine Weise, die mich überwältigte. Gemäß der Bergpredigt, freundlich, zugewandt, selbstverständlich: „Wenn dich einer bittet, mit ihm eine Meile zu gehen, so gehe mit ihm zwei.“ (Matthäus 5,41)
Beim ersten Mal war es ein Paar mit Rädern, das mich nicht nur auf meinen Weg zurückführte, sondern das mich darüberhinaus noch 3 km weiter begleitete und mir eine kleine Badebucht zeigte, wo ich das „Jedermannsrecht“ (das Recht, wild zu campen bei Respekt der Natur und evtl. Anwohner) praktizieren und mein Zelt für die Nacht aufstellen konnte. Ich hatte meine abendliche Dusche im Meer und einen schönen Platz zum Schlafen. Ich fühlte mich sicher und geborgen; Austausch und Begleitung hatten mir gut getan.
An anderer Stelle war ich zu lange auf einem ehemaligen Bahndamm unterwegs. Ein älterer Herr mit Rad verstand mein Englisch nicht, aber meine Suche nach dem Radweg. Er fuhr mit mir ein ganzes Stück bergab bis die richtige Abzweigung zum Radweg auftauchte. Er musste alles wieder hoch fahren. Ich war beschämt und dankbar. Selbstverständlich war das von seiner Seite aus gewesen.
Ein letztes Mal hatte ich meinen Weg in Kristianstad verloren. Wieder half mir spontan ein Paar mit Rädern weiter. Sie änderten ihre Route, nahmen einen Umweg in Kauf und brachten mich auf meinen Weg und zeigten mir noch Einkaufsmöglichkeiten.
Bei meinem Fragen und Suchen hatte ich mir eine Richtungsangabe erhofft, aber mir wurde viel mehr gegeben. Wenn ich das nächste Mal hier Vorort nach dem Weg gefragt werde, habe ich mir vorgenommen, ebenso ein Stück des Weges zu begleiten, weil mich diese Erfahrung des Mitgehens im Urlaub getragen hat.
Wiebke Reinhold,
Pfarrerin der Ev. Kgm. Wadern-Losheim
SAARBRÜCKER ZEITUNG RUNDSCHAU FÜR MERZIG-WADERN
KOLUMNE WORT ZUM ALLTAG
Trotz schwieriger Zeiten von Dankbarkeit getragen
Die erste Schulferienwoche hat begonnen. Eigentlich wäre ich jetzt auf Segelfreizeit mit Jugendlichen, um Gemeinschaft, Auszeit, besondere Erfahrungen zu vermitteln. Stattdessen finde ich selbst mich in einer Ausnahmesituation wieder.
Mitte Juni bin ich beim Gassi-Gehen mit Hund im Wald verunglückt. Ich bin so gestürzt, dass mein rechtes Bein operiert und die rechte Hand gegipst werden musste. Aktuell kann ich mich mithilfe eines Rollstuhls und Gehstützen fortbewegen. Ich, die ich normalerweise ständig in Bewegung bin, bin ausgebremst. Ich erlebe eine Auszeit mit besonderen Erfahrungen.
Anfangs war da die Reduzierung auf die Grundbedürfnisse meines Körpers – einhergehend mit dem großen Gefühl von Dankbarkeit. Ich bin gefunden worden, versorgt worden. Im Krankenhaus habe ich die angespannte Personalsituation von Schwestern und Pflegern wahrgenommen, die Freundlichkeit und das Bemühen allen Patienten gerecht zu werden.
Ich war dankbar für das Reichen der Bettpfanne und nach acht Tagen noch dankbarer mit Rolli in den geschützten Bereich des WCs geschoben zu werden. Dankbar war ich dafür, gewaschen und eingecremt zu werden und dann noch dankbarer wieder fast selbstständig, dank Sitz, duschen zu können.
Inzwischen bin ich zu Hause und kann auch nach draußen auf die Terrasse, um Sonne und Wind zu fühlen. Dank meiner Hilfsmittel bin ich in den eigenen vier Wänden relativ mobil. Dankbar bin ich dafür, wie prompt und selbstverständlich meine Gemeinde, die Haupt- und Ehrenamtlichen, und meine Kollegen und Kolleginnen den Vertretungsdienst organisiert haben.
Zurzeit erlebe ich Woche vier im Krankenstand. Meine Kinder unterstützen mich, soweit es geht. Ich werde nach wie vor besucht, ich habe Angebote fürs Einkaufen oder Gassi-Führen, für Fahrdienste zur Physio. Ja, ich bin auf Hilfe angewiesen, aber ich fühle mich auch gesegnet mit so vielen aufmerksamen und hilfsbereiten Menschen in meinem Umfeld.
Mir ist sehr bewusst, dass das alles nicht selbstverständlich ist. Dafür bin ich Gott unendlich dankbar. Ich fühle mich erfüllt von den Dingen, die da sind, die ich kann und wieder schaffe.
Der Apostel Paulus schreibt in seinen Briefen immer wieder, dass wir dankbar sein sollen in unserem Leben. Denn da, wo wir im Alltag, im zwischenmenschlichen Bereich Gutes und Wohltuendes wahrnehmen, erkennen wir Gott. Dankbarkeit ist eine Haltung, die mich den Blickwinkel ändern lässt und mir eine neue Bewusstheit für Gegebenheiten schenkt. Dafür reicht schon ein kurzes Innehalten. Ich merke, dass sich Dankbarkeit automatisch einstellt in meiner Situation. Ich fühle mich von ihr getragen. Dazu muss ich nicht aufgefordert werden.
Schwerer tue ich mich mit Paulus weiterem Aufruf zur Geduld. Dazu brauche ich wohl noch Zeit in der mir gegebenen Auszeit.
WIEBKE REINHOLD,
PFARRERIN DER EVANGELISCHEN KIRCHENGEMEINDE WADERN-LOSHEIM